Review: Apple AirPods 4 mit aktiver GeräuschunterdrückungSchotten dicht
7.11.2024 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannMit den neuen AirPods 4 wagt Apple einen bemerkenswerten Schritt. Erstmals bringt das Unternehmen die aktive Geräuschunterdrückung in klassische Ohrhörer, die auf Silikonpolster verzichten. Kann das klappen? Thaddeus Herrmann hat sie sich in die Ohren gesteckt.
Es ist beeindruckend, wie Ohrhörer, eigentlich nichts weiter als ein Stück Zubehör für portable Audio-Player, heute in der Regel Mobiltelefone, in den vergangenen 20 Jahren den gesellschaftlichen Alltag beeinflusst haben. Und wenn ich Ohrhörer hier als eigentlich allgemein gültigen Begriff verwende, meine ich doch vornehmlich die Ohrhörer von Apple. 2001 präsentierte Steve Job den ersten iPod. Der MP3-Player per se markierte den digitalen Meilenstein eines langen Transformationsprozesses im Umgang mit Musik. Zwar waren auch die Kopfhörer der ersten Sony-Walkman ikonisch (und werden bis heute noch kopiert), Apple war zum Launch des iPod aber in der glücklichen Lage, dass Ohrhörer schon etabliert waren – das generelle Design wurde beibehalten. Bis heute. Auch wenn sie mittlerweile viel besser klingen, in den unterschiedlichsten Versionen erhältlich sind und Kabel schon lange der Vergangenheit angehören.
Seit ziemlich genau acht Jahren gibt es die AirPods, die drahtlosen Ohrhörer von Apple. Damals schrieb ich: „Diese kleinen Nöpsis sind verdammt noch mal ein beeindruckendes Stück Technik.“ Waren sie trotz aller Kompromisse tatsächlich. Unternehmen fluteten darauf den Markt mit vergleichbaren Produkten, die nicht nur ähnlich funktionierten und klangen, sondern vor allem praktisch genauso aussahen. 2019 wagte man bei Apple dann den nächsten Schritt und veröffentlichte die AirPods Pro, eine gepimpte Version mit aktiver Geräuschunterdrückung, die 2022 grundlegend überarbeitet wurde. Die Integration der Geräuschunterdrückung brachte eine neue Bauweise mit sich: Die Pros sind mit Silikonpolstern versehen, die in den Gehörgang hineinreichen: InEars. Das führt nicht nur zu einem besseren Sitz, sondern von Beginn auch für eine bessere Abschirmung von Umweltgeräuschen. Unter diesen Bedingungen greift dann die Geräuschunterdrückung mit jeder Menge Algorithmen, die mit dem Antischall Tango tanzen. Das Prinzip ist gelernt, praktisch alle Audio-Unternehmen haben solche InEars im Angebot – und bedienen die unterschiedlichsten Preiskategorien. Aber: Dieses Prinzip funktioniert nicht für alle. Sei es die Geräuschunterdrückung als solche oder aber die Bauweise mit Silikonpolstern: Es gibt Menschen, die damit einfach nicht zurechtkommen. 2024 integriert Apple die Geräuschunterdrückung erstmals in ein AirPod-Modell, das den Pro-Zusatz nicht im Namen trägt. Damit nimmt man buchstäblich Druck von den Ohren, setzt die Idee des Noise Cancellings aber auch ganz neuen Herausforderungen aus. Denn je weniger Isolation die Hardware von Haus aus bietet, desto überzeugender muss die Technologie sein.
Die AirPods Pro von Apple gelten seit jeher als hochpreisig. Das stimmt. Gleichzeitig muss man Cupertino aber auch eine vorbildliche Produktpflege attestieren. Mit Software-Updates kamen immer wieder neue und wirklich nützliche Features hinzu. Und während die AirPods Pro 2 aktuell mit einem weiteren Update zum Hörschutz und Hörgerät mutieren – mit beeindruckenden Resultaten, die einen eigenen Text wert wären, erreicht die Geräuschunterdrückung nun auch erstmals das preisgünstigere Modell. Noise Cancelling im Apple-Kosmos für 200 Euro? Das ist allemal ein Probehören wert.
Sitzt, wackelt nicht, und hat Luft
Die Passform der AirPods 4 – es gibt sie ohne Geräuschunterdrückung für 150 und mit für 200 Euro – wurde überarbeitet und soll nun in noch mehr Ohren noch besser passen. Als die ersten AirPods 2016 auf den Markt kamen – mit genau dem „open design“, das mit den Jahren und Generationen immer weiter angepasst und vermeintlich verbessert wurde – schrieb ich: „Ob der generellen Passform finden die AirPods nicht in allen Ohren den nötigen Halt. Zum Beispiel in meinen.“ Umso zufriedener war ich mit den Silikonpolstern der AirPods Pro. Tatsächlich habe ich seit dem Marktstart der Pros keine „normalen“ AirPods mehr ausprobiert und kann berichten, dass die Passform a) tatsächlich anders ist, also überarbeitet wurde und b) mir bzw. meinen Ohren deutlich besser passt. Das ist begrüßenswert und verhindert hoffentlich bei mehr Menschen das Verrutschen und Aus-den-Ohren-Gleiten, was mit schlechterer Audio-Wiedergabe und genereller Frustration einhergeht. Bei mir sitzen die AirPods 4 wirklich verlässlich fest. Und weil es keine Silikonpolster gibt, kann ich auch sicher sein, dass sich diese Passform mit den Zeit auch nicht verformen und zum Schlechteren verändert. Gehen wir raus? Gehen wir raus!
In echt und Wirklichkeit
Ich hatte die AirPods 4 mit ANC auf diversen Spaziergängen und Routen im Ohr und im Einsatz. Was Apple mir hier anbietet, ist ziemlich überzeugend. Mal wieder, möchte ich sagen, aber ich spare mir die Lobhudelei gen Audio-Abteilung in Cupertino. Das aktualisierte Design der Ohrhörer liefert zumindest bei mir eine gute Passform. Schon ohne ANC kann ich selbst Laber-Podcasts unter der S-Bahn-Brücke klar und deutlich verstehen, während die Bahn über mir von A nach B donnert – was bei meinen eigentlichen täglichen Begleitern, den AirPods Pro, ob der ausgeleierten Silikonaufsätze mittlerweile faktisch nicht mehr möglich ist (note to self: neue kaufen!). Mit aktvierter Geräuschunterdrückung bin ich erstaunlicher Weise ziemlich nah dran an der von mir gewünschten Abgeschiedenheit des Digitalen. Erstaunlicher Weise, weil: Lohnen sich die AirPods Pro dann überhaupt noch? Aber dazu später mehr. Im Verkehrschaos der Hauptstadt behalte ich praktisch immer die Oberhand über mein Playback. Sprache dringt auch dann zu mir durch, wenn eine Straßenbahn an mir vorbeizieht. Auch die vorbei zischende Ambulanz gen Charité kann mir nicht vollständig die Aufmerksamkeit nehmen. Musik klingt derweil kräftig, rund, im Stereobild fein separiert, bassig genug und doch luftig frei gen Höhen.
Wie viel Pro steckt drin?
Apple hat den neuen neuen AirPods 4 mit ANC einiges an Pro-Features mitgegeben. Der Umfang ist durchaus bemerkenswert, wissen wir doch alle, wie Apple manchmal mit der Verfügbarkeit dieser Features auf unterschiedlichen Geräten der gleichen Kategorie knausert, um das Line-up zu rechtfertigen. Der Funktionsumfang bei der Geräuschunterdrückung ist gleich: Adaptives Audio (automatischer Wechsel zwischen Transparenz-Modus und Geräuschunterdrückung), eben jener Transparenzmodus und die Koversationserkennung, bei der die Medienlautstärke automatisch reduziert wird, wenn die AirPods Unterhaltungen wahrnehmen. Mit letzterem Feature bin ich nie warm geworden, weil es eben auch anspringt, wenn sich zwei Menschen unterhalten, die neben mir an der Ampel warten. Das Lade-Case ist Qi-kompatibel, lässt sich also auch kabellos mit Energie versorgen, hat einen Lautsprecher und lässt sich über „Wo ist?“ orten. Die Abstriche hingegen sind zu verschmerzen: Das Case hat keinen U1-Chip, die Ortung mit „Wo ist?“ ist also weniger genau. Außerdem hat man den dezidierten Knopf für das Bluetooth-Pairing eingespart – der Prozess erfolgt nun über zweimaliges Tippen auf der Vorderseite. Apple selbst klassifiziert die Geräuschunterdrückung der AirPods Pro als bis zu „2 x besser“, was wohl der Bauweise mit Silikonaufsätzen geschuldet sein dürfte. Worauf man ebenfalls „verzichten“ muss, ist Lautstärkeanpassung per Touch. Ich notiere das in Anführungszeichen, weil mich das Feature nie interessiert hat. Und die Laufzeit ist geringer: Die neuen AirPods mit ANC laufen bei aktivierter Geräuschunterdrückung bis zu vier Stunden (Pro: bis zu fünfeinhalb). Auch die Gesamtlaufzeit ohne zwischenzeitliches Aufladen des Case ist geringer: 20 vs. 30 Stunden. Dafür ist das Case aber auch deutlich kleiner, also noch portabler. Wo ist denn hier bitte der Haken?
Lost In Sound
Tatsächlich fällt mir so gut wie keiner ein. Ja, der Klang der AirPods Pro ist einen Tick besser. Ich schiebe das ein weiteres Mal auf den Einsatz der Silikonpolster, die Musik und Sprache ein Quäntchen immersiver machen. So nennt man das doch heutzutage, oder? Natürlich wirkt sich das auch auf die Qualität Geräuschunterdrückung aus. Mit dem Klang der AirPods 4 mit ANC bin ich dennoch rundum zufrieden. Eine durchaus schwierige Kaufentscheidung, wenn man denn in AirPods investieren möchte.
Die AirPods 4 mit ANC haben eine UVP von 200 Euro. Die aktuelle Pro-Variante kostet bei Apple selbst 280 Euro, in der realen Welt jedoch nur noch 240, 40 Euro Unterschied. Eine kleine Hürde, die getreu dem „Wenn schon, denn schon“-Motte natürlich eigentlich für die Pro-Variante spricht. Aber so einfach ist die Gemengelage dann doch nicht. Ich habe genug Menschen in meiner Peer-Group, die mit InEars, also den Ohrhörern mit Silikonpolstern nicht zurechtkommen. Unbequem, zu großer Druck, ja schmerzhaft nach gewisser Zeit. Bei vielen lässt sich dieses Problem auch dann nicht lösen, wenn unterschiedlich große Polster für das linke und rechte Ohr verwendet werden. Für diese Leute können die AirPods 4 mit ANC eine gute Alternative sein. Die AirPods Pro hingegen haben sich mit dem kürzlich verteilten Software-Update (im Zusammenspiel mit iOS 18.1) tatsächlich zu einer veritablen Hörhilfe entwickelt. Den Hörtest, den Apple auf dem iPhone mit den AirPods Pro anbietet, brachte exakt die gleichen Messwerte, die mir mein HNO-Arzt noch vor wenigen Monaten präsentierte. Die angebotene Hörhilfe ersetzt vielleicht keine Hörgeräte, hilft aber Menschen mit Beeinträchtigungen, am Ball zu bleiben. Und wer mit Silikonpolstern klarkommt, profitiert zusätzlich von einem leicht besseren Gesamtklang.
Ich bin nach mittlerweile ziemlich genau fünf Jahren Pro ausgesprochen angetan von den AirPods 4 mit ANC und könnte jederzeit wechseln. Mehr brauche ich nicht unterwegs. Und dass sich aktive Geräuschunterdrückung in einem offen Design mit Ohrhörern so gut umsetzen lässt, hätte ich tatsächlich nicht erwartet.